SV Darmstadt 98
1. Bundesliga
Countdown: SV Darmstadt 98

Kristian Dordevic

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Der Countdown zur Bundesliga läuft, in nicht einmal zwei Wochen kommt der Ball im Oberhaus wieder ins Rollen. Für Borussia Dortmund (Europa League), den FC Bayern und VfL Wolfsburg (beide im Supercup) ist der Startschuss in die neue Saison sogar schon gefallen, die restlichen Teams bestreiten am nächsten Wochenende im DFB-Pokal ihr erstes Pflichtspiel.

Um die Zeit bis zum Bundesliga-Beginn zu überbrücken, nehmen wir im Rahmen einer Serie noch einmal jeden der 18 Vereine ein wenig unter die Lupe (inklusive Managertipp). Dabei zäumen wir das Pferd von hinten auf, was bedeutet, dass es mit dem SV Darmstadt 98 losgeht.


Der neue Aschenputtelklub

Die Südhessen mit ihrem urigen Merck-Stadion am Böllenfalltor (Eröffnung: 1921 | Fassungsvermögen: 16.250 Plätze) sind womöglich ein noch größerer Underdog als die Quasivorgänger Fürth, Braunschweig oder Paderborn, die als kleine, finanzschwache Traditionsvereine die Beletage bereicherten. Darmstadt taumelte 2013 noch in den Niederungen der 3. Liga und hielt die Klasse letztendlich nur dank unfreiwilliger Nachbarschaftshilfe: Ligakonkurrent Kickers Offenbach wurde die Lizenz entzogen.

Es sollte der Beginn eines Siegeszugs sein, der die Lilien geradewegs in die höchste Spielklasse führte – nach 33 Jahren Abstinenz. Der Klub versuchte sich schon 1978/79 und 1981/82 in der 1. Liga, stieg aber jeweils umgehend ab. Gelingt im dritten Anlauf das Happy End?


Der Kader: Wer kommt, wer geht?

Der Aufsteiger hat mit Romain Brégerie, Hanno Behrens und Leon Balogun drei Aufstiegshelden verloren. Im Hinblick auf Verstärkungen setzt Trainer Dirk Schuster auf die gewohnte Marschroute: Der 47-Jährige fahndet nach erfahrenen Profis, die in einem sportlichen Tal stecken. Luca Caldirola (Leihe), Konstantin Rausch, Mario Vrancic und Junior Diaz bringen allesamt Bundesliga-Erfahrung mit, zudem stehen die zuvor ausgeliehenen Jan Rosenthal und Fabian Holland bei den Hessen nun fest unter Vertrag.

Weitere Spieler sollen den Kader in der Breite verstärken. In diesem Zusammenhang bleibt Schusters Weg ohne Alternative, denn seiner Meinung nach würde Darmstadt nicht als Talentförderschuppen funktionieren: "Wir haben nicht die Zeit, Spieler […] zu entwickeln. Wenn sie am 8. Spieltag funktionieren, ist es vielleicht schon zu spät", so Schusters unmissverständliches Urteil im "kicker".

Einer dieser zwei, drei Spieler, die nach Auskunft des Trainers noch dazugeholt werden müssen, ist Peter Niemeyer von Hertha BSC. Der 31-Jährige (100 Bundesligaspiele) unterschrieb am heutigen Montag einen Dreijahresvertrag in Darmstadt. Damit hat der Klub fürs Erste nur noch in der rechten Außenverteidigung und im Sturm dringenden Nachbesserungsbedarf. Für letzteren Posten wurden ebenfalls schon passende Aspiranten ausgemacht: Sandro Wagner (Hertha BSC), Milan Djuric (AC Cesena) oder Mohammed Abdellaoue (VfB Stuttgart).


Stärken und Schwächen

Stärken

Der Mannschaftsgeist ist absolut intakt und die Aufstiegseuphorie ungebrochen. 6.000 Anhänger strömten allein zur Saisoneröffnung ans Böllenfalltor. Schuster wird ein kämpferisch starkes und topfites Team ins Rennen schicken, dessen Prunkstück das Abwehrbollwerk um Kapitän Aytac Sulu ist, das in der vergangenen Saison 26 Tore zuließ – neben Karlsruhe die beste Defensive der Liga. Zudem erzielten die Verteidiger zusammen 15 Tore, ebenfalls der Bestwert im Unterhaus.

Darmstadt zeichnet zudem Kopfballstärke (12 Tore/2 Gegentreffer per Kopf) und eine starke Raumaufteilung aus – Kontergegentore sind bei den Lilien Mangelware.

Schwächen

Individuell ist der Aufsteiger der Konkurrenz allerdings unterlegen, das Offensivspiel zudem berechenbar und wenig kreativ. 26 Großchancen markierten vergangenes Jahr ligaweit den drittschlechtesten Wert. Obendrein kommt von der Bank wenig Gefahr (2 Jokertore).

Da einige Neuzugänge womöglich erst sehr spät dazustoßen (Transferfenster bis 31. August offen), könnten gerade in der Anfangsphase der Saison Probleme auftreten. Schuster wartet darauf, dass Spieler anderer Bundesligisten in der Vorbereitung durch den Rost fallen und unterm Strich froh sind, den Darmstädter Rettungsschirm in Anspruch nehmen zu können. Das Startprogramm des Aufsteigers tut sein Übriges: Nach Hannover warten mit Schalke, Hoffenheim, Leverkusen und München die im Normalfall tabellarisch oben angesiedelten Mannschaften.


Sportliche Führung

Dirk Schuster ist der Macher in Darmstadt, er hat sowohl das Amt des Trainers als auch das des Sportdirektors inne. Seit er bei den Blau-Weißen anheuerte (28. Dezember 2012), drückte der viermalige DFB-Nationalspieler dem Verein mit der Philosophie "Mentalität schlägt Qualität" Schritt für Schritt seinen Stempel auf und errichtete das Modell des Auffangbeckens, in dem gescheiterte Spieler wieder aufgepäppelt werden. Das Ergebnis: Eine homogene und unermüdliche Mannschaft wurde geformt.

Finanziell gesehen ist bei den Hessen wie gehabt alles mini, Schuster muss in der neuen Saison mit einem mit einem Lizenzspieleretat von ungefähr 15 Millionen Euro auskommen. Nachbar Eintracht Frankfurt hatte selbst im Zweitligajahr 2011/12 einen um fast zehn Millionen Euro höheren Personaletat.


Testspiele

Sechs Testspiele absolvierten die Lilien bisher in der Vorbereitung auf die Saison. Fünfmal ging man dabei als Sieger vom Platz, nur RW Erfurt musste man sich 2:3 geschlagen geben. Auch der Härtetest gegen Real Betis aus der Primera División wurde erfolgreich gestaltet, 3:1 besiegte der Aufsteiger den spanischen Klub.

Die Torbilanz mit 28 Treffern bei fünf Gegentoren liest sich stattlich. Erfolgreichster Schütze der Vorbereitung war Marco Sailer mit sechs Toren. Auch Dominik Stroh-Engel (4) und Tobias Kempe (3) trafen mehrfach, genau wie Neuzugang Konstantin Rausch (2), Jan Rosenthal (2) und Yannick Stark (2).


kicker-Managerspiel

Wer einen Spieler vom Aufsteiger in seinem Team haben möchte, der kann über Christian Mathenia nachdenken. Der 1,8 Millionen Euro teure Stammkeeper zählt zu den preisgünstigsten Schlussmännern und könnte somit einiges Budget für andere Mannschaftsteile freigeben. Beim Aufstieg überzeugte der ehemalige Mainzer mit guten Leistungen.

Auch die Nummer 2 - strategisch gesehen quasi schon ein Pflichtkauf - ist im Vergleich mit anderen Bundesligavereinen günstig: Patrick Platins kostet nur 400.000 Euro. Somit kostet das Gesamtpaket Darmstadt nur 2,2 Millionen.


Fazit

Im Grunde erwartet fast ganz Fußball-Deutschland den Abstieg, selbst Darmstadt geht nicht mit verklärten Erwartungen ins Abenteuer Bundesliga, wie ein Zitat von Coach Schuster ("kicker") zeigt: "Grundsätzlich ermöglicht uns der Aufstieg ein weiteres Jahr Planungssicherheit in der 2. Liga."

Gleichwohl wird das Team mit hundertprozentiger Leistungsbereitschaft für den Klassenerhalt kämpfen und könnte sich dementsprechend für die restlichen Bundesliga-Teams als äußerst unangenehmer Gegner erweisen. Aber zur Vermeidung des dritten Bundesliga-Abstiegs der Klubgeschichte bedarf es freilich schon etwas mehr.