Borussia Mönchengladbach | 1. Bundesliga

Countdown: Borussia Mönchenglad­bach

14.08.2015 - 15:20 Uhr Gemeldet von: Kristian Dordevic | Autor: Kristian Dordevic

2012 hatte Borussia Mönchengladbach nach Bundesliga-Platz vier die Teilnahme an der Champions League in den Play-offs noch verspielt, diesmal glückte mit Rang drei die direkte Qualifikation für die europäische Königsklasse – erstmals seit 37 Jahren. Der Klub vom Niederrhein schaffte es dabei sogar, sich in der Rückrundentabelle vor Branchenprimus Bayern München zu setzen. Es ist ein vorläufiger Höhepunkt in der Ära von Chefcoach Lucien Favre.


Als Messlatte dient das Erreichte jedoch keineswegs. Mit ordentlichem Understatement peilen die Fohlen einen einstelligen Tabellenplatz an und wollen so nahe wie möglich an den europäischen Plätzen sein. Gladbach setzt dabei personell auf Perspektive und Potenzial – und auf mittlerweile sechs Landsmänner des schweizerischen Trainers.

Der Kader

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Wie üblich unter Manager Max Eberl betreibt der fünfmalige Meister eine von Augenmaß geprägte Transferpolitik. Unter Gegenrechnung der Spielererlöse nahm Gladbach zur Auffrischung des Kaders respektive zur Kompensation von zwei schmerzhaften Abgängen (Christoph Kramer und Max Kruse) gute zehn Millionen Euro in die Hand.

Der teuerste Neuzugang ist Josip Drmic, der in Leverkusen nicht den Durchbruch schaffte (4 Startelfeinsätze) oder einfach nicht auf diesen warten wollte. So oder so, in Gladbach trauen sie ihm eine Schlüsselrolle zu. Der Eidgenosse schließt in gewissem Maße die von Kruse hinterlassene Lücke im Angriff, wenngleich die beiden sich als Spielertypen nicht gänzlich ähneln. Der nach Wolfsburg gewechselte Stürmer verkörpert eher eine mitspielende Mischung aus hängender Spitze und echter Neun, orientierte sich immer wieder nach hinten. Drmic dagegen gehört zur Sorte Strafraumstürmer, der zielstrebig den Torabschluss sucht.

Aber solch ein Kontrast dürfte genau nach dem Gusto von Taktikfuchs Favre sein, eröffnet sie ihm doch größere strategische Flexibilität. Mit Branimir Hrgota, dem inzwischen häufiger im Sturm eingesetzten André Hahn oder eben Drmic kann der Trainer auf Akteure zurückgreifen, die vorne die Tiefe suchen. Will er demgegenüber einen spielstarken Angreifer á la Kruse auf dem Feld sehen, könnten Thorgan Hazard (inzwischen fest verpflichtet) oder Lars Stindl diese Rolle übernehmen.

Letztgenannter Spieler ist der eigentliche Toptransfer der Borussia. Die Verantwortlichen sicherten sich seine Dienste dank Ausstiegsklausel für verhältnismäßig läppische drei Millionen Euro und machten von Beginn an klar, dass die Hannoveraner Lebensversicherung des Vorjahres auch beim Bundesliga-Dritten eine Führungsposition einnehmen soll.

Bis hierhin erfüllt Stindl diese Vorgabe auf die ihm eigene Art, und zwar durch sportliche Leistung. Das stellte er gleich beim Pflichtspielauftakt im DFB-Pokal (4:1 gegen St. Pauli) unter Beweis: Der bald 27-Jährige war mit zwei Treffern und einer Vorlage an den ersten drei Toren seiner Farben beteiligt, stand wie schon in der letzten Saison für Effizienz und Torgefahr.

Es bestehen keine Zweifel daran, dass er bei seinem neuen Arbeitgeber einen Stammplatz innehaben wird, auf welcher Position er in Gladbach zu verorten sein wird, ist aber noch unklar. Der Mittelfeldspieler ist im Grunde von der Sechs bis in die (hängende) Spitze überall einsetzbar und gewiss nicht nur als Eins-zu-eins-Ersatz für Weltmeister Kramer anzusehen. Im Grunde agierte Stindl in Hannover sogar überzeugender auf einer offensiveren Position. Bei Trainer Favre scheint man vor allem in Sachen Aufstellung ohnehin selten zu wissen, welcher Plan ihm vorschwebt.

Die Entwicklung auf der Position des Rechtsverteidigers ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Übungsleiter sich nicht in die Karten schauen lässt: In der letzten Saison war Julian Korb hinten rechts weitgehend etabliert, sein Kollege Tony Jantschke überwiegend in der Innenverteidigung tätig. Dessen ungeachtet zeichnete sich sowohl zum Ende der abgelaufenen Rückrunde als auch in der jetzigen Vorbereitung (inklusive Pokal) ab, dass Jantschke zumindest zu Saisonbeginn den Posten in der rechten Außenverteidigung übernehmen wird.

Und das, obwohl mit Martin Stranzl der zweikampfstarke Abwehchef und mit Alvaro Dominguez ein weiterer etablierter Innenverteidiger fehlt. Stattdessen vertraute der schweizerische Coach zuletzt auf ein Teenagerduo: Leihgabe Andreas Christensen (19) und Marvin Schulz (18) aus dem eigenen Nachwuchs. Mit Neuerwerbung Nico Elvedi (18) steht obendrein ein weiter Jungspund im Kader.

Im Lichte dieser Personalentscheidungen ist durchaus vorstellbar, dass sich auch auf der Sechser-Position des Öfteren ein Youngster einfindet. Mahmoud Dahoud (19) ist auf dem aufsteigenden Ast und scheint eine ernsthafte Alternative zu sein, falls Stindl offensiver aufläuft.

Auf den Flügeln begleitet Favre das gleiche Luxusproblem wie im letzten Jahr. Ibrahima Traoré präsentiert sich derzeit in blendender Verfassung, daneben gibt es noch den Neu-Nationalspieler – und torgefährlichsten Flügelspieler des letzten Jahres – Patrick Herrmann, Hahn, Hazard und Fabian Johnson. Letzterer hat insbesondere wegen seiner Defensivqualitäten (aber noch ohne Gelbe Karte in Gladbach) bei Favre einen Stein im Brett. Solange der Verein auf drei Hochzeiten tanzt, ist sehr gut vorstellbar, dass der Trainer hier viel rotiert.

Stärken und Schwächen

Stärken

Die Mannschaft tritt unter Favre enorm diszipliniert auf, steht gut gestaffelt und zieht bei längerem Ballbesitz ein geduldiges, konzentriertes Spiel auf. 83 Prozent Passquote wurde im verganenen Jahr nur von den Bayern überboten, hinten setzte es lediglich vier Tore nach einem Konter. Überhaupt kassierte Gladbach im zweiten Halbjahr der Saison, als die Favre-Elf weitgehend von der Dreifachbelastung verschont geblieben ist, nur zehn Gegentreffer.

Schwächen

Den Fohlen fehlte letzte Saison im eigenen Strafraum die Lufthoheit. Sie ließen die zweitmeisten Kopfbälle aufs Tor zu, wo mit Yann Sommer freilich ein hervorragender Rückhalt zugegen war. Auf das Tor des Schweizer Nationalkeepers wurden im Ligavergleich überdurchschnittlich viele Schüsse abgegeben, jedoch häufig aus der Distanz.

Das in die jungen Verteidiger Schulz und Christensen gesetzte Vertrauen ist ohne Frage lobenswert, birgt aber aufgrund ihrer Unerfahrenheit in der Bundesliga Risiken.
Stranzl und Dominguez fallen zurzeit noch aus, Routinier Roel Brouwers wäre einsatzbereit.

Sportliche Führung

Das Erfolgsduo am Niederrhein hört auf die Namen Max Eberl und Lucien Favre. Die Kooperation zwischen Mönchengladbach und dem ehemaligen Trainer von Hertha BSC begann im Februar 2011: Über den Klassenerhalt per Relegation führte der Weg kontinuierlich nach oben, bekanntermaßen bis in die Champions League.

Bemerkenswert: Obwohl Favre – zumindest wettbewerbsübergreifend – als Freund der Rotation gilt, setzte er in den vergangenen drei Spielzeiten ligaweit die wenigsten Akteure ein. Letztes Jahr waren es lediglich 19 verschiedene Spieler, die im Oberhaus den Spielbetrieb aufgenommen haben. Darunter finden sich zunehmend Schweizer …

Sportdirektor Eberl äußerte sich jüngst im "kicker" zu den Alpen-Importen: "Die Schweizer Fußballausbildung war herausragend in den vergangenen Jahren", darüber hinaus falle die Integration angesichts der "Sprache und Kenntnis des deutschen Fußballs" deutlich leichter als bei anderen. Die Erschwinglichkeit dieser Spieler dürfte in diesem Zusammenhang den größten Faktor ausmachen.

Testspiele

Die Borussia bereitete sich fast durchweg gegen namhafte Teams vor (u. a. FC Bayern, Standard Lüttich, FC Porto, Newcastle United), und das recht erfolgreich. Die einzige Niederlage gab es im Telekom Cup gegen den HSV (4:5 n. E.).

Viele Tore (12) durften die Zuschauer demgegenüber nicht bewundern, Drmic (3) und Traoré (2) trafen als einzige Spieler mehrfach.

kicker-Managerspiel

Bei den Fohlen gibt es in diesem Jahr wohl die meisten potentiellen Schnäppchen: Die aktuelle Innenverteidigung zum Saisonstart dürfte aus Andreas Christensen (800.000 Euro) und Marvin Schulz (200.000 Euro) bestehen - beides sind schon fast Pflichtkäufe.

Auch im Mittelfeld rückte Youngster Mahmoud Dahoud (500.000 Euro) nah an die erste Elf, ist eine Option an der Seite von Granit Xhaka, sollte Lars Stindl im Sturm aufgeboten werden.

Fazit

Borussia Mönchengladbach hat ein gutes Defensivkollektiv sowie einen homogenen Kader beisammen und mit Durchstarter Stindl offenbar einen richtigen Führungsspieler gefunden, der auf Anhieb Leistungsträger sein kann. Die Tiefstapelei bei der Zielsetzung kommt nicht von ungefähr, denn andere Vereine sind wirtschaftlich besser aufgestellt und das Gedränge im oberen Segment wird wohl zunehmen, zumal beim Rivalen aus Dortmund eine erneute Krisenrunde schwer vorstellbar ist.

Solange die Borussia drei Wettbewerbe zu stemmen hat, ist womöglich mit weniger Beständigkeit zu rechnen als zuletzt, aber hinten raus könnte Gladbach erneut anziehen.